Arbeitsrecht und Coronavirus

30. April 2020

Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich direkt auf folgenden Fachaufsatz: Thomas Geiser / Roland Müller / Kurt Pärli, Klärung arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, in: Jusletter 23. März 2020. Sie stellen eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der genannten Autoren dar und sollen den Leserinnen und Lesern leicht verständliche erste Antworten auf die sich stellenden Fragen bieten. Für ihre wissenschaftliche Arbeit ist den geschätzten Autoren zu danken.

Rechtsgrundlagen

Als Rechtsgrundlagen sind im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie das Epidemiengesetz und die Corona-Verordnung, das Obligationenrecht sowie das Arbeitsgesetz und das Mitwirkungsgesetz massgeblich.

Antworten auf wesentliche arbeitsrechtliche Fragen

Lohnfortzahlung

Arbeitsunfähigkeit aufgrund persönlicher Erkrankung

Bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung infolge Krankheit besteht eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Ein Verschulden bei der Ansteckung wird kein Thema sein, da auch bei verantwortungsvollem Verhalten und unter Beachtung der geltenden Regeln eine solche nicht ausgeschlossen werden kann. Eine Besonderheit ergibt sich im Zusammenhang mit der aktuellen Situation auch hinsichtlich des Beweises der Erkrankung. Es wird in vielen Fällen schlicht nicht immer möglich und sinnvoll sein, ein Arztzeugnis zu organisieren, zumal in leichten Fällen zunächst die Selbstisolation gilt. Auch die Verletzung einer vertraglichen Regelung betreffend Vorlage eines Zeugnisses innert weniger Tage wird hier in den meisten Fällen eine Lohnfortzahlungspflicht nicht untergehen lassen. Am besten lässt sich der Arbeitnehmer schon bei der Krankmeldung vom Arbeitgeber vorläufig von der Zeugnispflicht dispensieren.

Arbeitsverhinderung bei Selbstisolation und Selbstquarantäne

Auch wer nicht arbeitsunfähig ist, kann an der vereinbarten Arbeitsleistung verhindert sein, weil er sich an behördliche Anordnungen halten muss: Personen mit Krankheitssymptomen müssen bis 24 Stunden nach Abklingen der Krankheitssymptome zu Hause bleiben (Selbstisolation). Nach einem Kontakt mit einer infizierten Person soll eine Person auch ohne Krankheitssymptome mindestens 5 Tage zu Hause bleiben (Selbstquarantäne). Soweit eine Arbeitsleistung möglich ist, muss diese unter diesen Umständen geleistet werden (Home-Office). Es besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung.

Verhinderung durch behördliche Vorgaben

Auch wenn die Erfüllung gesetzlicher Pflichten, z.B. Beispiel aufgrund eines Aufgebots der Armee, zu einer Verhinderung an der Arbeitsleitung führt, besteht grundsätzlich ein Lohnfortzahlungsanspruch. Um gesetzliche Pflichten geht es aber auch dann, wenn aufgrund der ausserordentlichen Lage ein Betrieb geschlossen werden muss, z.B. Restaurants und Kinos. Grundsätzlich ist in Übereinstimmung mit dem SECO davon auszugehen, dass auch hier ein Lohnfortzahlungsanspruch besteht. Es ergeben sich in diesem Zusammenhang aber auch schwierige Fragen, etwa betreffend die Risikosphäre des Arbeitgebers und betreffend die Reichweite behördlicher Einschränkungen.

Nachtrag 16. April 2020: In der Lehre mehren sich die Stimmen, die eine Anwendung der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin für diesen Fall verneinen. Die Tragung des Risikos eines solchen Betriebsverbots werde vom Gesetz in Art. 324 OR betreffend Lohnfortzahlung nicht dem Arbeitgeber zugewiesen. Sicher ist, dass zum Fall einer Pandemie noch keine Rechtsprechung besteht.

Nachtrag 22. April 2020: Die Lehre ist sich weiterhin uneins bezüglich der Frage, ob eine Lohnfortzahlungspflicht besteht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung aufgrund von behördlichen Vorgaben wie zum Beispiel einer Betriebsschliessung nicht erbringen kann. Vertieft diskutiert wird dabei weiterhin, ob eine Pandemie und ihre Folgen Teil des Betriebsrisikos des Arbeitgebers darstellen und deshalb aus Art. 324 OR eine Lohnfortzahlungspflicht resultiere. Dabei wird von den Befürwortern einer solchen Risikozuweisung – zu welchen beispielsweise auch das Seco oder die UNIA gehören –vorgetragen, dass das Epidemiengesetz die Arbeitgeber verpflichte, sich auf eine Epidemie vorzubereiten, was eine implizite Zuweisung zum Betriebsrisiko darstelle. Weiter sei der Bundesrat auch beim Erlass seiner COVID-19-Verordnungen bezüglich der Kurzarbeitsentschädigung davon ausgegangen, dass die Arbeitgeber eine Lohnfortzahlungspflicht treffe. Nur weil der Bundesrat davon ausgegangen sei, dass die Arbeitgeber den Lohn weiterhin bezahlen müssten und somit sonst zu Kündigungen greifen würden, habe er die Möglichkeiten zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigungen massiv ausgedehnt, um eine Kündigungswelle zu verhindern. Hätten die Arbeitgeber keine Lohnfortzahlungspflicht, wäre diese Massnahme völlig unnötig gewesen. Diejenigen Autoren, welche sich gegen eine Lohnfortzahlungspflicht wenden, führen aus, dass die Unvorhersehbarkeit einer solchen Epidemie die Zuweisung zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers nicht sachgerecht erscheinen lasse. Schliesslich betrachten diese Autoren die Situation einer Betriebsschliessung als Anwendungsfall der nachträglichen Unmöglichkeit der Leistungserbringung gemäss Art. 119 OR. Wird eine Leistung nachträglich unmöglich, so besteht – Ausnahmen vorbehalten – grundsätzlich gegenseitig keine Leistungspflicht mehr, womit eben auch die Lohnzahlungspflicht entfällt. Täglich werden neue Beiträge zu diesen Fragen publiziert. Es herrscht in diesem Bereich eine hohe Rechtsunsicherheit, welche wohl erst dann beseitigt werden kann, wenn einige Gerichtsentscheide – womöglich sogar des Bundesgerichts – vorliegen.

Arbeitsverhinderung besonders gefährdeter Arbeitnehmer/innen

Arbeitgeber sind verpflichtet, die Gesundheit der Arbeitnehmenden bestmöglich zu schützen, wobei auf gesundheitlich angeschlagene Personen besonders Rücksicht zu nehmen ist. Kommt ein Arbeitgeber den machbaren und ihm zumutbaren Möglichkeiten nicht nach, kann die Arbeitsleistung unzumutbar sein, und der Arbeitgeber ist wegen seines Verzugs trotzdem zur Lohnzahlung verpflichtet.

Die Arbeitgeber sind indessen (nur) verpflichtet, mit geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen die Einhaltung der Empfehlungen des Bundes betreffend Hygiene und sozialer Distanz sicherzustellen. Nur wenn weder Arbeit zu Hause noch unter den genannten Voraussetzungen am Arbeitsort möglich ist, besteht die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin.

Der «Home-Office-Pflicht» des Arbeitgebers bei besonders gefährdeten Arbeitnehmenden steht die Pflicht der Arbeitnehmenden gegenüber, zu Hause allenfalls auch zumutbare andere Arbeit zu erledigen, als es ihrem üblichen Pflichtenheft entspricht.

Nachtrag 16. April 2020: Die Art. 10b und 10c der Verordnung wurden angepasst. Vorrang hat noch immer die Arbeit zu Hause, darauf aufbauend sind ausdrücklich weitere mögliche Massnahmen vorgesehen. Wenn es keine zumutbaren Alternativen gibt, gilt eine Freistellung unter Lohnfortzahlung.

Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel

Der Transport zum Arbeitsort ist grundsätzlich Sache der Arbeitnehmenden und ein Ausfall führt nicht zur Lohnfortzahlung. Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, allenfalls geänderte Fahrzeiten zu berücksichtigen bzw. zu akzeptieren. Sodann trägt er auch das Risiko, wenn Geschäftsreisen nicht durchgeführt werden können.

Arbeitsverhinderung wegen der Betreuung von Kindern

Die Kinderbetreuung stellt eine gesetzliche Pflicht dar. Im Verhältnis zum Arbeitgeber sind aber arbeitnehmende Eltern grundsätzlich verpflichtet, eine anderweitige Betreuung zu organisieren und dürfen deshalb bei unvorhergesehenen Situationen (z.B. Erkrankung der Kinder) nur drei Tage der Arbeit fernbleiben. Das gilt grundsätzlich auch im Zusammenhang mit der aktuellen Situation. Falls aber aufgrund der besonderen Lage tatsächlich keine Tagesstätten (die Kantone sind zu deren Betrieb verpflichtet) oder andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, dann muss wohl von einem Lohnfortzahlungsanspruch ausgegangen werden.

Nachtrag: Am 20. März 2020 hat der Bundesrat eine neue Verordnung erlassen. Eltern mit Kindern unter 12 Jahren, die ihre Arbeit unterbrechen müssen, weil die Fremdbetreuung der Kinder nicht mehr gewährleistet ist, haben nun Anspruch auf eine Entschädigung aus der Erwerbsersatzordnung (EO). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die Arbeit nicht im Homeoffice erledigt werden kann.

Weisungsrecht der Arbeitgeberin

Homeoffice

Die Arbeitnehmenden müssen einem vorübergehenden Wechsel zur Arbeitsleistung Folge leisten, wenn so die Arbeitsleistung weiter erbracht werden kann und nach den Umständen die Arbeit zu Hause zuzumuten und möglich ist. Für notwendige, zusätzliche Kosten hat der Arbeitgeber aufzukommen, jedoch keine Entschädigung für die Raumbenutzung zu leisten.

Soweit die Arbeit im Homeoffice betrieblich möglich ist, haben umgekehrt die Arbeitnehmenden auch einen Anspruch auf Verlegung ihres Arbeitsplatzes nach Hause, wenn sie wegen geschlossener Tagesstätten oder des Ausfalls von Betreuungspersonen Kinder zu betreuen haben.

Reiseverbot

Der Arbeitgeber kann private Reisen nicht verbieten. Wenn die Arbeitnehmenden sich aber nicht an Empfehlungen der Arbeitgeberin oder des Bundes halten, kann sich bei einer nachfolgenden Arbeitsverhinderung (z.B. durch Quarantäne) die Frage stellen, ob diese nicht verschuldet wurde, was zu einem Ausfall der Lohnfortzahlung führen würde.

Zuweisung anderer Arbeit oder anderer Arbeitsort

Die Zulässigkeit solcher Weisungen muss im Einzelfall abgeklärt werden. Es lässt sich in Bezug auf die Pandemie und die daraus folgenden Umstände aber generell sagen, dass viele Aspekte für die Arbeitgeber nicht vorhersehbar waren, was den Spielraum für akzeptable Weisungen erhöht. Zudem sind die Arbeitnehmenden auch verpflichtet, beim Gesundheitsschutz und beim Vollzug entsprechender Vorschriften mitzuwirken.

Kompensation von Überstunden

Die Kompensation braucht grundsätzlich das Einverständnis der Arbeitnehmenden. Sie müssen aber zustimmen, wenn überwiegende Interessen der Arbeitgeberin dies erfordern und keine gewichtigen Interessen der Arbeitnehmenden dagegensprechen. In der vorliegenden Situation mit Betriebsschliessungen und der generellen Reduktion der Arbeit wird in der Regel eine Kompensation angeordnet werden können. Der Arbeitgeber kann auch erst dann Kurzarbeit anordnen, wenn keine Kompensation von Mehrstunden mehr möglich ist.

Anordnung von Minusstunden

Der Arbeitgeber kann nicht verfügen, dass heute weniger geleistet werden soll, später aber die Stunden nachgeholt werden müssen.

Anordnung von Ferien

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber den Ferienbezug anordnen. Das gilt auch dann, wenn die sonst üblichen Reisen nicht unternommen werden können. Eingeschränkt wird sein Recht dadurch, dass die Arbeitnehmenden eine bestimmte Vorlaufzeit brauchen, um Ferien organsieseren zu können. Zudem wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob die Ferien den Erholungszweck überhaupt erfüllen können.

Anordnung von Überstunden/Überzeit

In Betrieben, in denen aufgrund der Pandemie die Arbeitslast stark erhöht ist, können Überstundenleistungen verlangt werden, soweit dies zumutbar ist und sich im gesetzlichen Rahmen bewegt.