Weiterentwicklung der IV

24. November 2021

Die Weiterentwicklung der eidgenössischen Invalidenversicherung verfolgt das Ziel, die Eingliederung zu verstärken und eine Invalidität zu verhindern. Die notwendigen Gesetzesänderungen treten per 1. Januar 2022 in Kraft. Es geht insbesondere um Änderungen in den Bereichen der Geburtsgebrechen, der Unterstützung von Jugendlichen und Menschen mit psychischen Krankheiten, der Zusammenarbeit der IV mit Ärztinnen/Ärzten und Arbeitgebenden sowie bei den Gutachten. Hinzu kommt die Einführung eines stufenlosen Rentenmodells.

Das stufenlose Rentensystem führt dazu, dass neue Renten ab 1. Januar 2022 bei Invaliditätsgraden zwischen 40% und 69% eine prozentgenaue Abstufung stattfindet. Weiterhin bestehen bleibt, dass bei einem IV-Grad von unter 40% kein Anspruch und ab 70% ein Anspruch auf eine ganze Rente besteht. Diese neue Abstufung gilt auch für die obligatorische berufliche Vorsorge. Eine Überführung der bestehenden Renten aus dem alten System erfolgt, wenn sich der IV-Grad im Rahmen einer Revision um mindestens 5% ändert und kein Ausnahmetatbestand vorliegt. Bei Personen über 55 Jahren erfolgt keine Überführung ins neue System. Bei jungen Rentenbezügern, welche am 1. Januar 2022 noch nicht 30 Jahre alt sind, werden die Renten spätestens nach 10 Jahren automatisch ins neue System überführt, ausser die Anpassung erfolgt im Rahmen einer vorgängigen Revision.

 

Auch die Bemessung des massgebenden Invaliditätsgrades erfährt einige Änderungen:

  • Der Sonderfall von Teilerwerbstätigen ohne Aufgabenbereich entfällt. Bei Teilerwerbstätigen wird neu für den verbliebenen
  • Anteil bis zu einem 100%-Pensum immer von einem Aufgabenbereich (Haushalt) ausgegangen.
  • Bei der Bestimmung des Valideneinkommens von Geburts- und Frühinvaliden wird weiterhin auf den statistischen Totalwert
  • über alle Wirtschaftszweite und über alle Kompetenzniveaus abgestellt. Die bisherigen Abstufungen anhand des Alters werden ersatzlos gestrichen.
  • Bei um mehr als 5% unterdurchschnittlichen Valideneinkommen wird neu automatisch parallelisiert.
  • Bei der Ermittlung des Invalideneinkommens sollen leidensbedingte Einschränkungen neu konsequent bei der Festlegung der verbleibenden Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Damit entfällt der sogenannte Leidensabzug.
  • Weiterhin kann jedoch ein Teilzeitabzug bei der Bemessung des Invalideneinkommens vorgenommen werden. Jedoch nur bei einer Leistungsfähigkeit von 50% oder weniger und der Teilzeitabzug beträgt immer pauschal 10%.

 

Für die Unterstützung von jungen Erwachsenen und Menschen mit psychischen Erkrankungen werden insbesondere folgende Neuerungen eingeführt:

  • Ausweitung der Früherfassung und Frühinterventionsmassnahmen auf Jugendliche, welche bisher nur für Erwachsene zur Verfügung standen.
  • Ausweitung der Integrationsmassnahmen auf Jugendliche und die Möglichkeit auch für Erwachsene mehrfach Integrationsmassnahmen zu gesprochen zu bekommen. Neu haben zudem alle Arbeitgebenden, welche Integrationsmassnahmen durchführen, Anspruch auf eine Entschädigung, nicht mehr nur die aktuelle Arbeitgeberin einer versicherten Person.
  • Die IV kann zudem Personalkosten eines Case Managements Berufsbildung, einer ähnlichen kantonalen Stelle oder kantonaler Brückenangebote mitfinanzieren.
  • Versicherte Personen in Ausbildung haben neu ab Ausbildungsbeginn und nicht mehr erst ab Erreichen des 18. Altersjahres Anspruch auf ein Taggeld. Die Höhe des Taggeldes wird jedoch auf den üblichen Ausbildungslohn eines gesunden Versicherten gesenkt.
  • Bei jungen Erwachsenen, welche sich in einer beruflichen Massnahme befinden, kann die IV neu medizinische Eingliederungsmassnahmen bis 25. Altersjahr (bisher 20. Altersjahr) bezahlen.
  • Die IV führt zudem eine Personalverleih für Menschen mit Behinderungen ein. Bisher gab es verschiedene Pilotprojekte. Die Betreiber des Personalverleihs arbeiten für die IV und werden von dieser entschädigt. Die versicherten Personen werden beim Personalverleiher angestellt, von diesem entlöhnt und in Einsatzbetriebe vermittelt. Damit soll für Arbeitgebende die Schwelle
  • für die Anstellung von Menschen mit Einschränkungen reduziert werden.

 

Die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure eines IV-Verfahrens verfolgt das Ziel die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen zu erleichtern und einen besseren Erfolg erzielen zu können. Es treten daher folgende Neuerungen in Kraft:

  • Die bereits bisher durchgeführt Beratung und Begleitung von Arbeitgebenden wird ausdrücklich im Gesetz verankert.
  • Während der gesamten Dauer von Eingliederungsmassnahmen erhalten die Versicherten neu einen Schutz für Berufs- und Nichtberufsunfälle über die IV. Die IV zahlt die Prämien. Die Durchführung dieser Unfallversicherung erfolgt ausschliesslich über die Suva. Die IV übernimmt im Bereich des Unfallschutzes sämtliche Kosten und Pflichten, welche sonst durch die
  • Arbeitgebenden getragen werden mussten.
  • Nebst dem Unfallschutz wird die Haftpflichtversicherung für Schäden durch Versicherte im Rahmen von Massnahmen auch auf die Frühintervention, Integrationsmassnahmen, Berufsberatung, erstmalige berufliche Ausbildungen, Umschulungen und Abklärungen ausgeweitet.
  • Auch die Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten wird im Eingliederungsprozess gestärkt. Die IV-Stellen informieren neu die Ärztinnen und Ärzte über Resultat und Schritte, die für die Patientinnen und Patienten vorgesehen sind
  • oder vereinbart wurden.
  • In der Fort- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte besser über die Versicherungsmedizin, das IV-Recht und die
  • Zielsetzungen der Sozialversicherungen informiert.
  • Zur Erhöhung der Vermittlungschancen, wenn eine Person nach Abschluss der Eingliederungsmassnahme arbeitslos ist, bezahlt die Arbeitslosenversicherung neu Taggelder während 180 Tagen, statt wie bisher während 90 Tagen.

 

Auch das seit einigen Jahren mehrfach kritisierte Gutachterwesen wurde überarbeitet und erfährt einige Änderungen:

  • Neu werden auch bidisziplinäre (zwei medizinische Disziplinen) Begutachtungsaufträge über den Zufallsgenerator an die Gutachterstellen verteilt.
  • Bei monodisziplinären (eine einzige medizinische Disziplin) Begutachtungen sollen sich die IV und die versicherte Person, wenn immer möglich auf einen Gutachter einigen.
  • Zur Verbesserung der Transparenz haben die Gutachter die Interviews mit einer Tonaufnahme zu erfassen, sofern es von der versicherten Person nicht anders bestimmt ist. Diese Aufnahme ist zu den Akten zu nehmen.
  • Die IV-Stellen müssen neu eine Liste mit den Gutachtern und Gutachterstellen veröffentlichen, welche die Anzahl der getätigten Gutachten, die Vergütung für die Gutachten, die attestierten Arbeitsunfähigkeit sowie die Verlässlichkeit der Gutachten im Rahmen von Gerichtsentscheiden beinhaltet.
  • Zur Qualitätssicherung werden zudem klarer Vorgaben in Bezug auf fachlichen Voraussetzungen für Gutachter gemacht und
  • eine ausserparlamentarische Kommission geschaffen, welche die Zulassung der Gutachterstellen, das Verfahren und die Ergebnisse überwacht. Die Kommission besteht aus Vertreterinnen und Vertreter der Sozialversicherungen, der Ärzteschaft, der Gutachter, der Wissenschaft, der versicherungsmedizinischen Bildungseinrichtungen sowie der Patienten- undBehindertenorganisationen.

 

Nebst den oben erwähnten Neuerungen wurde auch die Liste der Geburtsgebrechen überarbeitet. Es wurden neue Krankheiten aufgenommen und einige Ziffern angepasst. Rund 30 Ziffern werden gestrichen, da diese Geburtsgebrechen einfach zu behandeln sind. Diese Gebrechen werden neu über die obligatorische Krankenversicherung finanziert. Bei den von der IV übernommenen medizinischen Massnahmen wird auch die Kosten- und Rechnungskontrolle verbessert.